Prolog: Es gäbe deutlich einfachere Möglichkeiten, von Wien in den Westen Tirols zu gelangen, zum Beispiel ein simples Dieselfahrzeug, das die Strecke ohne einen einzigen Tankstopp locker bewältigt. Noch schneller ginge es mit der Eisenbahn. Abfahrt Wien 17:30, Ankunft Sankt Anton am Arlberg 22:58. Nach 5 Stunden 28 Minuten und 572 km sicher, verlässlich und auch bequem am Ziel, wenn man sich nicht gerade in der Hauptreisezeit in der zweiten Klasse um einen reservierten Sitzplatz prügeln muss. Dazwischen kann gearbeitet, gelesen oder geschlafen werden. Mit keinem Auto geht sich das aus, mit mindestens einem Stau ist immer zu rechnen. So weit die reine Vernunftebene.
Was mit anderen Elektroautos für viele als unmöglich oder zumindest unerquicklich erscheint, müsste mit dem Jaguar I-Pace doch zumindest zu schaffen sein, eine Reise in die Skigebeite des Westens: Immerhin weist die Werksangabe eine Reichweite von 470 Kilometern aus.

Auftakt:
Der I-Pace ist kein Sportwagen, keine Limousine, kein Kompaktwagen und schon gar kein SUV. In dem, was er nicht ist, ist er eigentlich alles. Er ist ein sehr praktisches alltagstaugliches und in seinen wesentlichen Fähigkeiten grundvernünftiges Auto. Gleichzeitig kann er auch Supersportwagen, genetisch wie faktisch. Und: Es gibt sogar einen Dachträger und eine Anhängerkupplung dazu, die allerdings eher dazu gedacht ist, einen Fahrradträger zu schultern denn einen ausgewachsenen Anhänger zu ziehen.
Anwärmen:
Ich möchte Sie jetzt nicht mit wenig erquicklichen Details der Reise langweilen aber doch ein bisschen erzählen, warum es nicht ganz einfach war, die Fahrt erfolgreich zu absolvieren. Punkt eins: Winter. Die Temperaturen um null Grad und darunter sind für ein Elektroauto schon eine Herausforderung. Die praktische Reichweite sinkt in der Regel um ein Drittel, das bestätigen viele Elektroauto-Besitzer. Das hat viele Gründe, die Hauptursache ist der erhöhte Energiebedarf fürs Heizen, Lüften und Leuchten. Es empfiehlt sich deshalb, das Auto schon am Netz hängend vorzuwärmen, damit sich dieser erste Akt nach dem Losfahren, das Aufwärmen des Innenraums samt der Elektrotechnik im Fahrzeug nicht gleich massiv auf die Reichweite schlägt. Damit lässt sich immerhin vermeiden, dass schon kurz nach dem Losfahren die Reichweite abstürzt. Aber nicht grundsätzlich hat man auf einer Reise beim Übernachten eine Steckdose. Dann muss man eben schon bald nach dem Start zum Schnellladen.

Das Auto ans sich:
Trotz der mannigfaltigen Talente als Automobil ist der I-Pace in seiner Grundlinie ein hübscher Sportwagen, wirkt auch angesichts seiner Höhe geduckt und schnittig, weist aber einen Luftwiderstandsbeiwert von 0,29 auf, was in keiner Weise rekordverdächtig ist. 0,30 hatte schon der Audi 100 im Jahr 1982. Ein Tesla Model S oder ein Hyundai Inoiq sind mit 0,24 deutlich besser. Multipliziert mit seiner erheblichen Querschnittsfläche ergibt sich ein Luftwiderstand, der den heiklen Punkt Reichweite beim Schnellfahren nicht gerade günstig beeinflusst. Da haben wir also schon den Salat: Auto, nicht genug rundgelutscht. Sieht zwar besser aus als ein Tesla, benötigt aber erheblich mehr Energie beim Schnellfahren. Fatal, bereits wenn die Tachonadel über die 100-km/h-Marke drübergleitet.
Balanceakt
Immerhin synchronisiert sich bei normaler Fahrweise auf der Überlandstraße recht bald die Kilometerangabe des Navigationssystems bis zum Ziel mit der Reichweitenangabe des Fahrzeugs. Unauffällig schwimmst du mit der Kolonne und drückst zwischendurch auch freudig aufs Pedal wenn freie Bahn ist oder jemand zum Überholen ansteht. Das klappt ganz gut. Dann aber die Autobahn. Die Balance zwischen Entfernungsangabe und Reichweite lässt sich nur mehr schwer halten. Liegt unter winterlichen Bedingungen zwischen 96 km/h und 100 km/h. Ein Flixbus als Windschattengeber würde dir 110 km/h ermöglichen. Keine gute Idee, zu viel Risiko für die Windschutzscheibe, vor allem um diese Jahreszeit – peinlich wohl auch und erlaubt sowieso nicht.

Bei einem elektrischen Supersportwagen – Allradantrieb durch zwei Motoren, 400 PS Leistung, gleichzeitig voll alltagstauglich von seiner Statur her, Eigengewicht 2240 kg – wird schnell klar: Die Reichweite auf der Autobahn ist nicht seine oberste Priorität. Immerhin: Ich schaffte es mit zwei Ladestopps bis Westtirol. Und es gibt auch eine andere Seite.
Bis zum Gletscher
Mit Batterien, prall vollgeladen fahren wir am nächsten Morgen in Imst los und durch das Ötztal bis Sölden, der Wintersportmetropole mit herrlichen Pisten und saftigem Nachtleben. Weil in Österreich nicht überall die Großglockner so rumstehen, um die Bergtauglichkeit zu testen, haben wir diesmal nämlich eine alternative 3000-Meter-Destination ausgesucht, die Mautstraße zum Söldener Gletscherskigebiet. Das sollte für ein Elektroauto doch eine würdige Location darstellen.
Die Mautstraße ist um Weihnachten allerdings schon gesperrt. In offizieller Mission, in Aussicht auf wertvolle Erkenntnisse zum Thema „Elektroauto und Berg“ erteilte uns die Liftgesellschaft eine Lizenz zum Rauffahren, zumal auch keine Lawinen mit Abgang drohten.

Die Wucht am Berg
Nach all der vorangegangenen Autobahnmühsal: Auf dieser Etappe kommt mächtig Freude auf. Der tiefe Schwerpunkt durch die schweren Batterien am Wagenbogen sorgt in Verbindung mit dem Luftfeder-Fahrwerk des F-Pace für exzellente Straßenlage. Die direkte und exakte Lenkung, die geschmeidige Umsetzung der Gaspedalbewegungen, da fällt mir nur eines dazu eine: Was wird Porsche mit seinem ersten Vollelektrischen wohl noch besser machen? In Rekuperationsstufe 2 lässt sich der Wagen sauber und fast ausschließlich übers Gaspedal und mit zarter Hand am Lenkrad dirigieren. Bremsen ist nur steil bergab notwendig. Das gilt für Trocken, Nass und Schneefahrbahn gleichermaßen. Es ist ganz ruhig im Auto, du bist ganz ruhig im Auto, die Landschaft rund um dich zieht verdammt schnell vorbei, das ist ganz ähnlich wie bei Walter Röhrl im Auto, nur sollte man sich niemals mit ihm verwechseln. Und die Reichweite? Bricht natürlich zusammen bergauf. Aber bald bist du auch oben. Und kommst danach fast bis Imst wieder zurück ohne weiter an Reichweite einzubüßen.
Hier ein lebenswichtiger Tipp ganz am Rande: Auch wenn es auf Passhöhen manchmal Ladestationen gibt, wie etwa am Großglockner, bergab kann ein Auto mit randvollen Batterien nicht rekuperieren. Das geht dann höllisch auf die Bremsen.

Zurück nach Wien:
Beim Langsamfahren ist man natürlich geneigt, sich den elektronischen Displays mit ihren bunt schillernden Einrichtungen zuzuwenden. Sehr ambitioniert multifunktional angelegt, ist die Bedienung im I-Pace doch eine enorme Herausforderung, zwischen Navi, Heizung, Freisprechanlage und einer Sprachsteuerung, die mich einfach nicht verstehen wollte. Auch im Funktionsablauf tauchten Ungereimtheiten auf. Ich will das gar nicht im Detail erklären. Ich konnte das Ganze so weit bändigen, dass mir trotzdem eine sichere und beschwerdefreie Fahrt möglich war, glücklich gemacht hat mich das aber nicht.
Sie sehen also:
Elektro-Jaguar ist super, die weite Reise damit aber gut zu planen. Eine Lademöglichkeit nicht nur zuhause sondern auch am Zielort ist unverzichtbar, und sei es nur eine Haushaltssteckdose. Die Infrastruktur zum Laden in den österreichischen Tourismushochburgen ist bereits recht gut ausgebaut, viele Hotels bieten in ihren Garagen E-Ladestationen an. Für den Jaguar reicht ohnehin die Minimalausrüstung für Private: Mehr als 3,7 kW Wechselstrom kann er aufgrund seines mäßig dimensionierten Ladesystems an Bord ohnehin nicht aufnehmen. Bis zum Heimfahren nach dem Skiurlaub ist die Batterie selbst dort wieder voll.

Ladesäulen bis 350 kW
Auch Fahrten über lange Distanzen werden zusehends leichter. In Mondsee und Angath bei Kufstein sind bereits 350-kW-Gleichstromladestationen von Ionity mit jeweils mehreren Ladesäulen in Betrieb. An der Raststätte St. Pölten betreibt der Mineralölvertrieb Gutmann Ökostrom-Ladesäulen mit bis zu 150 kW. Der Jaguar nimmt theoretisch maximal 100 kW beim Laden auf, anfangs sind es, wie an der Gutmann-Säule abzulesen, an die 90 kW, bei 90 Prozent Füllungsgrad immer noch an die 30 kW. Damit pusht man sich in einer einstündigen Pause von 50 Kilometer Reichweite auf etwas mehr als 300 Kilometer hinauf. An den weiter verbreiteten 50-kW-Ladestationen (Smatrics etc.) wartete man dafür etwa eineinhalb Stunden.
Spitze Erkenntnis
Wer sich mit 100 km/h auf der Autobahn begnügt, kommt mit einer vollen Batterie von Wien bis Mondsee. Und was ich fast vergessen hätte: Die Sitze sind erstklassig. Das kann man also aussitzen. Als Problem stellen sich letztlich gar nicht so sehr die Ladepausen heraus, denn eine Mittags- und eine Kaffeepause sollte man sich eh gönnen dürfen. Richtig zäh wird die Reise eigentlich erst durch das Langsamfahren, vor allem gefühlsmäßig.
Daten: Jaguar I-Pace First Edition
Preis: € 102.570,- (Einstiegspreis ab € 78.380,-)
Antrieb: Elektromotor vorne und hinten 294 kW (400 PS)/696 Nm, Allradantrieb
Batterien: Lithium-Ionen, wassergekühlte Pouch-Zellen, 90 kWh
Laden: Wechselstrom 230V bis 7 kW* in 12 Stunden/ DC bis 100 kW 45 Minuten (80 %)
Dimensionen: L/B/H: 4682/2011/1565 mm, Kofferraum: 656-1453 l
Gewichte: Leer/Zuladung/Anhängelast 2208/362/750 kg
Fahrleistungen: 0-100 km/h 4,8 sec, Spitze 200 km/h, Normverbrauch (WLTP) 21,2 kWh/100 km, Normreichweite (WLTP): 470 km. Testverbrauch 25 kWh/100 km.
* Diese Angabe bezieht sich auf einphasiges Laden mit bis zu 32 Ampere Stromstärke, wie es in US-amerikanischen und asiatischen Stromnetzen sehr verbreitet ist. In Österreich und anderen europäischen Ländern ist das einphasige Laden (230 Volt) mit 16 Ampere begrenzt, womit einphasig nur eine maximale Ladeleistung von 3,7 kW erreicht werden kann.