Nicht nur E-Autos: Es geht ums Ganze

Auch wenn das Automobil von sich behauptet, im Jahr 1886 von Carl Benz in Deutschland erfunden worden zu sein, bereits um das Jahr 1900 gab es analog zum weltweit höchsten durchschnittlichen Wohlstand in den USA auch die meisten Autos: Rund 40 Prozent mit Dampfantrieb, knapp 40 Prozent mit Elektroantrieb. Mit gut 20 Prozent schickte sich der Verbrennungsmotor gerade erst an, sein Talent zu beweisen. Man sagt heute, die Erfindung des elektrischen Anlassers 1911 habe den Siegeszug des Verbrennungsmotors ausgelöst, sei der Todesstoß für das Elektroauto gewesen. Aber es mag noch weitere Gründe gegeben haben, vielleicht auch den, dass man mit einem Kanister Benzin im Kofferraum leichter einen Krieg gewinnen kann als mit einer Tonne Bleibatterien unterm Hintern.

Nicht nur E-Autos: Es geht ums Ganze
Rudolf Skarics: „Wir sollten auch darüber nachdenken, was das Auto mit uns macht.“ Foto: © laggers.at

Siegeszug des Verbrenners

Den Rest der Geschichte bis vor kurzem kennen wir schon: Beispielloser Siegeszug des Verbrennungsmotors. Von Anfang an problembehaftet, hat er sich doch an seiner Unzulänglichkeit ab- und hochgearbeitet, wurde mit jeder Attacke auf ihn stärker, überstand alle Lärm- und Abgasvorschiften. Der Verbrennungsmotor ist so eine innige Verbindung mit dem Automobil eingegangen, dass man ihn heute zuweilen gleich mit dem ganzen Auto verwechselt, das er antreibt. Oft glaubt man, alleine indem man den Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor ersetzt, könne man die Verkehrsprobleme lösen. Dabei ist der Verbrennungsmotor nicht viel mehr als eine sich aufdrängende Projektionsfläche in der Mobilitäts-Thematik, die in ihrer Gesamtheit eben nicht einfach zu durchschauen ist.

Von allem zu viel – nur immer weniger Zeit

Was uns bewegt, das ist zu viel Masse, viel zu schnell, über viel zu weite Strecken. Und warum tun wir das? Weil es geht und weil es uns reizt, und es reizt uns auch, weil es geht. Reichlich oberflächliche Motive, aber sie wirken bis ins tiefste Innere der Gesellschaft hinein. Die Welt ist eine Kugel, wir kommen sowieso irgendwann wieder dort an, wo wir losgefahren sind. Wir haben kein Gefühl für Entfernungen aber wir haben ein Gefühl für Zeit. Was in mehr als 130 Jahren Automobil wirklich passiert ist: Die Strecken, die wir zurücklegten, wurden immer länger, auch im Konkurrenzumfeld von Flugzeug und Bahn. Die Zeiten, die der Mensch bereit ist, sich mit einem Verkehrsmittel zu bewegen, sind allerding gleich geblieben. Der tägliche Weg wird als beschwerlich empfunden, wenn er wesentlich länger als eine halbe Stunde je Richtung ausmacht, der wöchentliche Ausflug sollte in eine Richtung nicht viel länger als eine Stunde dauern, die Urlaubsreise nicht länger als einen Tag hin und einen zurück. Dann sind wir entspannt und glücklich mobil, auch wenn wir natürlich mehr schaffen, wenn es sein muss, wie viele jeden Tag erleben.

Vehikel, die einander selbst im Weg sind

Warum wir jetzt aber an einem Wendepunkt stehen. Das Weltsystem aus den üblichen Verkehrsmitteln lässt eine weitere Steigerung der Reisegeschwindigkeiten nicht mehr zu, Das Überschall-Verkehrsflugzeug Concorde stellte schon vor 15 Jahren den Betrieb wieder ein. Das Gegenteil einer weiteren Beschleunigung ist absehbar: Indem sich die Vehikel zusehends selbst im Weg stehen, sinkt das Tempo der Fortbewegung auch noch. Wir können die Autos immer sauberer machen, und das werden wir auch, aber wir können die Freiheit im Raum nicht mehr zurückerobern, die uns das Auto einst verspochen hat, und die nur noch in lächerlichen Werbespots nachklingt, wenn zwischen der Anpreisung von Windeln für Erwachsene und Wärmepflastern gegen Rheumatismus feiste Geländewagen durch unberührte Landschaft tschundern.

Die Quadratur des Quadrats

Es gilt also, eine neue Dimension der Fortbewegung zu erschließen. Nachdem der Raum begrenzt und wohlgefüllt ist, jedenfalls dort, wo die meisten Menschen sich bewegen, ist es nun an der Zeit, an der Uhr zu drehen, um dem Automobil in Personalunion mit der menschlichen Bewegungslust neuen Schwung zu verleihen. So stellt die Abkehr vom Verbrennungsmotor noch mehr als eine ökologische eine systematische Erfordernis dar. Die Automatisierung des Autofahrens, die Quadratur des Quadrats, lässt sich mit dem Elektroantrieb viel leichter verwirklichen. Und die Automatisierung des Autofahrens ist Voraussetzung dafür, während des Autofahrens eigentlich ganz etwas anderes zu tun als Auto zu fahren, also das Autofahren von der Last des Autofahrens zu befreien, also unsere innere Reiseuhr zu besiegen oder zumindest zu manipulieren.

Gefangen im Wendekreis der Drohnen

Es wird sehr viel und intensiv überlegt, was wir mit dem Auto machen, was wir mit ihm machen sollen, welchen Platz es künftig im Verkehrsuniversum einnehmen soll, aber es wird zu wenig darüber nachgedacht, was es mit uns macht. Unser Denken ist offenbar in der technokratischen Dimension gefangen, die Erkenntnis, dass uns der Verbrennungsmotor in Zeiten des Klimawandels kein Glück mehr bringt und der Elektromotor der Ausweg sei, ist aber schlicht zu einfach, um wahr zu sein. Fällt uns in unseligen Momenten nichts besseres ein, als den Stau am Boden auch noch mittels Drohen in die Luft auszudehnen und in letzter Konsequenz in den Weltraum zu übersiedeln, wenn wir hier alles kaputt gemacht haben? Wir sammeln zu viele alte Denkvorgänge, sind Messies unserer Denkmuster, schaffen selber kaum mehr als Null und Eins aneinanderzureihen, und das auch noch sehr langsam. Die Digitalisierung macht das schneller und eröffnet damit einen weiten imaginären Raum, unsere Denkschwäche auch noch zu überhöhen. Die neuen Denkmuster müssen wir vorgeben, wir dürfen sie nicht dem Digital überlassen.

Strom lässt sich besser digitalisieren als Benzin

Die Stinkefalle namens Dieselskandal, in die das Auto durch unsaubere Geschäfte geraten ist, ist ja nicht der Grund, warum sich jetzt alles ändern soll, sie ist nur der Katalysator, der eine Reaktion (ein klein wenig) beschleunigt, die ohnehin auch an der frischen Luft stattgefunden hätte. Der Wandel hin zur Elektrizität ist ein größeres Ding, das mit der Abkehr von fossilen Energieträgern hübsch erklärt werden kann, im Ganzen gesehen ist der elektrische Strom aber genau jener Energieträger, der sich mit der unaufhaltsamen Verdichtung der digitalen Welt viel besser koppeln lässt. Der Verbrennungsmotor ist und bleibt in seinem Kern analoger Maschinenbau, da kann man noch so viel Elektronik draufpacken, der Elektromotor kann hingegen jedes feine digitale Zucken volley übernehmen. Vor primären Denkfehlern in der Gestaltung der menschlichen Mobilität schützt uns allerdings auch der Elektroantrieb nicht, ganz im Gegenteil, er eröffnet sogar neue mitunter gar nicht ungefährliche Perspektiven des Irrtums.

Pflichtprogramm: Ökologisierung der Stromgewinnung

Warum erstellen wir Energiebilanzen, um danach festzustellen, dass es sehr schwierig sein wird, mit einem Elektroauto weniger an kostbaren Ressourcen zu verschwenden als mit einem alten Benziner? Daraus könnte man schließen: Der eigentliche Fortschritt ist nicht sosehr was an Neuem in den Auslagen steht, sondern dass wir jetzt immerhin Energiebilanzen erstellen und uns der Thematik überhaupt gewahr werden. Und die Erkenntnis: Dass Strom nicht grundsätzlich sauber ist und ohne entsprechende Ökologisierung der Stromerzeugung im Gleichschritt alles nur Augenauswischerei wäre.

Wasserstoff im linearen Denkmodell nach Benzin und Diesel

Verkehrstechnisch ist ja fast alles machbar. Es muss nur jemand bezahlen und es darf uns nicht umbringen. Das einzige, was uns in unseren Überlegungen wirklich aus der Bahn werfen würde, wäre das Beamen. Von der Überwindung der Entfernung lebt das Verkehrssystem, die Aufhebung derselben wäre die einzig wahre Revolution. Geht nicht. Deshalb fügen wir weiter einen kleinkarierten Denkbaustein an den anderen. Wenn wir in festen Körpern, Flüssigkeiten oder Gasen gebundene Energie durch Verbrennung in Bewegung umsetzen wollen, haben wir nur eine Wahl: Kohlenstoff oder Wasserstoff. Weil der Kohlenstoff aus fossilen Quellen das Klima verändert, und Kohlenstoff aus nachwachsenden Quellen für die Ernährung gebraucht wird, bleibt nur mehr Wasserstoff als Energieträger mit hoher Energiedichte, der es uns erlaubt, linear über Benzin und Diesel hinaus zu denken. Wasserstoff ist zwar schwierig im Umgang, liegt aber genau auf der gewohnten Kraftlinie menschlicher Denkmuster, und stellt in Kombination mit der Brennstoffzelle einen schlüssigen Baustein dar, zumindest für Einsatzzwecke, die hohe Energiedichte des Energieträgers voraussetzen.

Nichts geht über Nacht, aber es muss ein klares Ziel geben

Darum erscheint der Weg schon vorgezeichnet, die Geschwindigkeit, mit der wir ihn gehen werden, ist noch nicht absehbar, ob wir auch in der Lage sind, da und dort eine überraschende Abzweigung zu nehmen, bleibt offen. Sicher aber ist: Der Mensch kann von Bewegung nicht genug kriegen. Die Digitalisierung unserer Bewegungsvorgänge eröffnet neue Möglichkeiten sowohl von der Seite der Autohersteller her als auch für öffentliche Verkehrsnetzwerke. Das Benzin, den Diesel, das Erdgas, und dann auch den Wasserstoff mit der Brennstoffzelle: Das werden wir alles noch Jahrzehnte nebeneinander brauchen, weil es ausgefeilte Werkzeuge sind, die wir zur Verfügung haben, mit denen mittlerweile nahezu die ganze Weltgesellschaft auf Trab gehalten wird. Ein maschinenbauliches Phänomen kann hier auf die ganze Gesellschaft angewendet werden: Je mehr Masse umso höher die Trägheit. Niemand besitzt einen Schalter, den man jetzt und hier umlegen könnte und sagen: Ab jetzt alles nur mehr elektrisch. Aber der elektrische Strom eröffnet wieder einmal in der Geschichte der Menschheit die verlockendste Perspektive.

Was wird wohl das Auto mit uns machen?

Nach mehr als einem Jahrhundert der Dominanz von Benzin und Diesel im Individualverkehr erscheint also angesichts des Klimawandels eine Abkehr von fossilen Energieträgern unabdingbar. Aber einfach nur den Verbrennungsmotor durch einen Elektromotor zu ersetzen, würde viel zu kurz greifen. Denn es gibt in Form der Digitalisierung eine neue Einflussgröße, die Entwicklungen besonders spannend aber auch sehr schwierig vorhersehbar macht. Die Zukunft unseres Individualverkehrs kann also nicht nach bewährten Mustern hochgerechnet werden. Vielleicht ist die wichtigste Frage also nicht, was wir mit dem Auto in Zukunft machen sollen, sondern die Frage, was das Auto mit uns macht und machen wird.

Rudolf Skarics

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