Reichweite killt Energiebilanz

Otmar Bitsche ist Leiter Entwicklung Elektromobilität bei Porsche und der maßgebliche Techniker hinter dem Antriebsystem des Porsche Taycan. Kürzlich hielt er auf Einladung des Österreichischen Vereins für Kraftfahrzeugtechnik in Wien einen Vortrag, in dem es vor allem um die Ökobilanz dieses Supersportwagens ging. Bitsche betonte, dass die Erkenntnisse im Wesentlichen auch für alle anderen Elektrofahrzeuge gelten.

Sieht man sich die Energiebilanz also genauer an, stellt man fest, dass so ein Fahrzeug schon mit einem riesigen Rucksack an bereits verbrauchter Energie in sein Leben startet. Auf die Herstellung entfallen im Lebenszyklus 48 Prozent des Energieeinsatzes, während zum Fahren sogar weniger, nämlich 44 Prozent vonnöten sind. 8 Prozent müssen dann noch am Lebensende zur fachgerechten Entsorgung aufgewendet werden.

80 % der Energie fürs Kathodenmaterial

Schlüsselt man den Energieeinsatz zur Produktion über das Fahrzeug auf, so benötigt man 40 Prozent für die Batterie, 35 Prozent für den Fahrzeugaufbau samt Innenausbau, 15 Prozent für das Chassis und 10 Prozent für die Antriebseinheit. Von den 40 Prozent für die Batterie entfallen alleine 80 Prozent auf das Kathodenmaterial. Das bedeutet, den Focus darauf zu richten, ergibt den größten Hebel zur Energieeinsparung.

Reichweite killt Energiebilanz
Otmar Bitsche gilt als Vater der 800-Volt-Ladetechnik. Was er sagt, wird auf der ganzen Welt sehr ernst genommen. Foto: Porsche

Durch die überragenden Leistungen von Elektromotoren könne man zwar mit sehr schweren Fahrzeugen auch beeindruckende Längsdynamik herstellen (Beschleunigung), bei der Querdynamik (beim Kurvenfahren) sieht das schon anders aus. Die Gewichtsspirale umzudrehen wäre auch bei Elektroautos ein hohes Ziel. Und damit liegt der Focus schon wieder bei den Batterien. Kleinere Batterien sind nicht nur selbst leichter, sie ziehen auch viele weiter Einrichtungen am Auto gewichtsmäßig nach unten, von den Bremsen bis zur Crashstruktur.

So rückt die Batteriegröße wiederum in den Mittelpunkt der Betrachtungen und damit natürlich auch die Reichweitendiskussion. Wobei die reine Reichweitendiskussion zu kurz greift, denn schließlich ginge es in Wirklichkeit um Reisezeiten. Schnelles Laden ist mindestens so wichtig wie eine große Batterie. Eine zu große Batterie ist ökologisch wie ökonomisch nicht sinnvoll und auch der Fahrdynamik nicht zuträglich. Die ideale Größe hängt vom Fahrzeug und vom Einsatzzweck ab. Beim Taycan wären das etwa 100 kWh. Wichtiger als eine möglichst große Batterie ist, dass die Pausen nicht zu lang werden. Und das hängt wiederum auch von der Ladeinfrastruktur ab.

Alleine 400 Watt fürs Lademanagement

Einen Taycan an der Haushaltssteckdose zu laden sieht Bitsche sehr kritisch: Die Haushaltssteckdose sei für das Laden eines Elektroautos einfach nicht gebaut, einen Taycan vollzuladen dauere gleich zwei Tage und führe zu einem um ein Viertel höheren Stromverbrauch, weil das Elektroauto während des Ladens alleine schon 400 Watt benötigt, um den Ladevorgang zu managen. Ein Grundverbrauch von 300 bis 600 Watt des elektrischen Antriebssystems gehe auch direkt in die Reichweite ein.

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Porsche als Mitinitiator des 800-Volt-Ladenetzes plant jetzt auch noch ein eigenes. Foto: Skarics

Porsche hat mit seiner 800-Volt-Architektur und der Philosophie kurzer Reisezeiten bei kompakten Batterien natürlich das Schnellladen im Focus. Dabei beobachtet man etwa gleich große Verluste beim Gleichstrom-Schnellladen wie beim Wechselstromladen. Die Effizienz liegt in beiden Fällen bei etwa 90 bis 92 Prozent. Den Einfluss auf die Lebensdauer durch das Schnellladen beurteilt Bitsche nicht als gravierend. Häufiges Vollladen auf 100 Prozent und danach nicht gleich loszufahren mache der Batterie viel mehr Stress und wirke sich stärker negativ auf die Lebensdauer aus. Generell ist bei Batterien die kalendarische Alterung eher ein Thema als die Kilometerleistung. Wenn eine Batterie nach 160.000 km noch 90 Prozent Kapazität aufweist, dann ist auch das Doppelte möglich, erklärt Bitsche sinngemäß.

Einen Störfaktor in Porsches Elektro-Strategie stellt der zögerliche Ausbau des Ladenetzes dar. Deshalb arbeitet Porsche auch an einem eigenen Ladenetz. Hier schwingt offenbar schon der Gedanke mit, dass Tesla mit seinem Supercharger-Netz einen Wettbewerbsvorteil besitzt, vor allem wenn sich die Zahl der Elektroautos in Kürze vervielfacht.

Wenig Chancen für Batterie-Wechselsysteme

Für Batterie-Wechselsysteme sieht Bitsche wenig Chancen. Die Anzahl der notwendigen Batterien ist durch Vorratshaltung deutlich höher. Außerdem ist die Logistik schwierig, da Batterien aus bereits besprochenen Gründen nicht vollgeladen sondern nur zu 80 Prozent geladen gelagert werden können. Die Standardisierung von Wechselbatterien ist schwierig, zumal Batterien heutzutage schon Bestandteil der Crashstruktur der Fahrzeuge sind und die Integration der Funktionen eines Automobils immer weiter fortschreitet.

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Im Süden, dort, wo mit Gas gekocht wird, ist meist das Stromnetz schwach. Foto: Skarics

Bidirektionales Laden als große Vision zur Netzstabilisierung sieht Bitsche nicht. Es genüge bereits gesteuertes Laden, um 90 Prozent des Stabilsierungseffekts zu erreichen. Angst um die Lebensdauer hat Bitsch dabei aber nicht: 10 bis 20 Prozent sind nicht lebensdauerschädlich. Das Hin- und Herschieben von Strom ist offenbar einfach zu viel Aufwand.

Was das Schnellladenetz anbelangt sind keine großen technischen Hürden zu erkennen. Das 20-Kilovolt-Netz auf Mittelspannungsebene ist in ganz Europa gut genug ausgebaut. Probleme sieht Bitsche eher beim Heimladen im Süden Europas. Das Haushaltstromnetz ist oft nur einphasig. Bitsche: „also in dort, wo man vorwiegend mit Gas kocht“.

Rudolf Skarics

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