Elektroautos müssen manchmal Lärm machen – aber richtig

Elektroautos geben bekanntlich ganz andere Geräusche von sich als die mit Verbrennungsmotor. Die erfreuliche Nachricht: E-Autos sind viel leiser. Die schlechte Nachricht: Man hört Elektroautos oft überhaupt nicht. Außerdem sorgt der geringe Geräuschpegel vom Antrieb her dafür, dass andere Geräusche viel deutlicher wahrgenommen werden, fast immer störend. Und die emotionale Komponente: Der Mensch hat sich an das Auto mit Verbrennungsmotor gewöhnt, manche haben so manches Geräusch sogar liebgewonnen. Gleichzeitig stellt die Wahrnehmung automobiler Geräusche auch einen Sicherheitsfaktor dar, schließlich verfügt der Mensch beim Schauen nur über einen begrenzten Blickwinkel. Hören funktioniert aber in alle Richtungen.

Sehen mit den Ohren

Früher wusste jedes Kind, ob gerade Papa oder Mama nach Hause kam, ohne vom Legospielen aufzusehen, ob der VW Käfer oder der Opel Rekord vor der Tür einparkte. Sogar einen Opel Kadett konnte man von einem Opel Manta blind unterscheiden, von einem Fiat oder Mercedes sowieso. Diese scharfen akustischen Charakteristika lösten sich aber mit der Globalisierung auf. Mit Eintritt der Japaner in den europäischen Markt verloren wir den Überblick, der letzte heckgetriebene Toyota Corolla war auch das letzte Massenautomobil mit unverkennbar charakteristischem Geräusch, das sich aus seiner rein mechanischen Verfassung nährte.

Geräusch und Emotionen

Die Bedeutung des Geräuschs für unsere Emotionen verschwand aber nicht, ganz im Gegenteil, schon in den 1980er Jahren begann man mit Sound-Design. Sportauspuffe waren beliebte Artikel zur Individualisierung des Fahrzeugklangs, meist zum Leidwesen der Nachbarn. Im Spannungsfeld mit Lärmvorschriften wurde viel gebastelt und getrickst, auch Sound über den Lautsprecher war immer wieder ein Thema. Das trieb man schon zu Verbrenner-Zeiten zur Perfektion, vor allem bei sportlich ambitionierten Modellen, mit Lautsprechern, die das Motorengeräusch verstärkten.

Elektroautos müssen manchmal Lärm machen – aber richtig
Das Rollgeräusch wird niemals als sexy empfunden, aber es ist unterschiedliche laut, nicht nur abhängig vom Auto sondern auch vom Bodenbelag. Foto: BMW

Maskierung des Verbrenner-Geräuschs

Und jetzt das Elektroauto: Alles ist komplett anders. Der weitgehende Entfall des Motorgeräuschs schürt auch noch die Erwartung für besonders hohen Komfort, auch schon bei kleinen billigen Autos. Aber so einfach ist das gar nicht. Ein Elektroantrieb ist in der Regel zwar nicht laut, kann aber äußerst unangenehme Geräusche entwickeln, die man noch dazu nur einen Meter daneben gar nicht mehr hört. Und noch ein unliebsamer Effekt ist wohl die größte Herausforderung für Automobilingenieure: Akustikexperten nennen das gerne „die Maskierung des Verbrennergeräuschs “, also das Übertönen von störendem Geklapper, Gequietsche und Geknarre durch den Verbrennungsmotor.

Lautlos auf dem Parkplatz

Warum die Geräuscharmut des Elektroantriebs auch ein wirkliches Problem sein kann, zeigt sich vor allem bei niedrigem Tempo: Weil man ein Elektroauto im Schritttempo so gut wie nicht hört, etwa an Kreuzungen, am Supermarktparkplatz oder beim Verlassen einer Garage. Weil wir hinten keine Augen haben, sind alle davon betroffen. Besonders riskant wird das Leben unter diesen Umständen für hörgeschädigte, sehbeeinträchtigte oder gar blinde Personen.

Akustische Warnung AVAS

Deshalb müssen in Europa seit 2021 alle Elektroautos (und Hybridautos, die in der Lage sind, rein elektrisch zu fahren) ein so genanntes AVAS besitzen (Acoustic Vehicle Alerting System). Es muss bei niedriger Geschwindigkeit vorwärts und rückwärts eine akustische Warnung von sich geben. Der Sound ist von seiner Grundcharakteristik her genauso wie die Lautstärke gesetzlich definiert, etwa, dass sich der Schallpegel mit der Geschwindigkeit verändert.

Akustische Belästigung

Die Sorge, man würde mit der Piepserei von Elektroautos auch gleich wieder neue akustisch Belästigungen hervorrufen, hat zu einer sehr vorsichtigen Festlegung von Grenzwerten geführt. Die akustische Warnung muss nur bis 20 km/h funktionieren und mit 56 Dezibel als Untergrenze (Kühlschrankbrummen) wird von Interessensvertretungen für hör- und sehbehinderte Personen als zu leise kritisiert. Außerdem gelten in den USA 30 km/h als Obergrenze. Das wollte man in Europa aber nicht so einfach kopieren. Es ist nämlich anzunehmen dass auf unserem Kontinent in den nächsten Jahren 30 km/h zur Regelgeschwindigkeit im verbauten Gebiet wird, womit alle Autos permanent im Piepsmodus unterwegs wären, außer sie fahren zu schnell.

Elektroautos müssen manchmal Lärm machen – aber richtig
Ein synthetisches Motorgeräusch kommt aus den Lautsprechern und lässt sich elektronisch wunderbar modulieren. Foto: Audi

Elektroauto und Emotionen

Ein Autohersteller ist also gezwungen, sich umfassend mit den Geräuschen der Elektroautos auseinanderzusetzen. Dabei sind unterschiedliche Arten von Schwingungen, Übertragungswege und Folgewirkungen zu beachten. Die physikalischen Rahmenbedingungen sind weitgehend die gleichen wie beim Verbrennungsmotor, nur dass eben das emotional stark wirksame Verbrenner-Geräusch, das viele unliebsame Geräusche überdeckt, durch ein diffuses Surren und Rauschen des Elektroantriebs ersetzt wird, das auch kaum andere Lärmquellen am Fahrzeug überdeckt.

Rollgeräusche sind nie sexy

Dazu kommt noch, dass Geräusche subjektiv unterschiedlich wahrgenommen werden. Rollgeräusche stören immer, ähnlich ist es mit Windgeräuschen. Antriebsgeräusche hingegen können durchaus als charmant oder gar musikalisch wahrgenommen werden, wenn sie in Einklang mit der Fahrdynamik des Fahrzeugs stehen. Auch kulturellen Einflüssen wird eine gewisse Wirksamkeit nachgesagt, etwa, dass im Westen dumpfere und im Osten hellere Klänge bevorzugt würden. Wobei dies auch eine Rückkoppelung jahrzehntelanger Autobautraditionen sein kann, rund um die Tatsache, dass japanische Autos heller klingen als europäische, vom Motor bis zu den Türen. Nachweislich prägt das akustische Verhalten den Qualitätseindruck entscheidend mit. Essenziel ist dabei der Klang der Türen beim Schließen bereits im Verkaufslokal.

Groß und Schwer hilft gegen Lärm

Immer geht es darum, Geräusche möglichst an der Quelle zu vermeiden oder nahe daran am Austritt zu hindern. Sind sie unvermeidlich, kultiviert man sie am besten. Denn Geräuschdämmung und –Isolierung treibt das Gewicht, den Platzbedarf und die Kosten in die Höhe. Bei Elektroautos ist es noch wichtiger, die Karosserie vom Fahrwerk zu entkoppeln. Teure schwere Autos sind mit eigenen mehrfach gelagerten Fahrschemeln und Motoraufhängungen von vornherein so konstruiert, dass sie möglichst wenig Schwingungen übertragen. Da ist nicht viel Unterschied zwischen einem Elektro- Verbrenner- oder Hybridauto. Das Problem für die Hersteller liegt eher bei vernünftigen kleinen Autos, die vion vornherein einfacher gestrickt sind. Hier sind Maßnahmen gegen Geräuschübertagung und für Geräuschdämmung schwieriger unterzubringen und treiben den Preis erheblich in die Höhe. Das ist möglicherweise einer der Hauptgründe, warum traditionelle Autohersteller derzeit kaum kleine erschwingliche Elektroautos anbieten, die viel besser in vernünftige Mobilitätsstrukturen passen würden als die derzeit überwiegenden SUV-artigen Gefährte der oberen Mittelklasse.

Elektroautos müssen manchmal Lärm machen – aber richtig
Die Fußgängerwarnung bis 20 km/h unterliegt bei Audi auch dem Sonddesign und wird vorne wie hinten durch eingene Lautsprecher mit Soundgenerator abgestrahlt. Foto: Audi

Musik aus dem Auspuff

Es gibt verschiedene Herangehensweisen, um Geräusche zu gestalten, also Sound Design zu betreiben. Die Ausgangsposition: Beim klassischen Benzinmotor spielen das mechanische Motorgeräusch, der Ansaugtrakt und der Auspuff wie ein Orchester zusammen. Hier herrscht viel Gestaltungsspielraum für musikalische Entwicklungsingenieure. Je mehr Zusatzaggregate wie Turbolader, Automatikgetriebe oder gar Hybridantriebe im Laufe der Zeit dazu kamen, umso schwieriger wurde es, dem Auto einen sympathischen Klang zu entlocken und diesen auszugestalten. Auch der Dieselmotor bietet für Akustiker nur unverwertbares Nageln und Grammeln. Außerdem ist meist ohnehin nur die Person hinter dem Lenkrad von dem Lärm fasziniert, der vom Fahrzeug ausgeht. Lärmvorschriften lassen auch praktisch keinen Spielraum mehr für verwegene Auspufftöne.

Töne aus den Lautsprechern

Darum verfolgen Autohersteller schon seit langem die Strategie, das Auto möglichst leise auszulegen und die charakteristische Geräuschkulisse über die Soundanlage im Fahrzeug herzustellen. So lange der Sound nicht als Lärm nach außen dringt, sind der Fantasie des Autoherstellers kaum Grenzen gesetzt. Im Falle der akustischen Fußgängerwarnung (AVAS) handelt es sich in der Regel um einen Soundaktuator mit Lautsprecher, der hinter der Stoßstange platziert ist. Die Herstellung des Geräuschs erfolgt mit einem Mini-Synthesizer, der von Daten des Antriebsmanagements (Pedalstellung, Geschwindigkeit etc.) gesteuert wird. Eine andere Möglichkeit ist, den elektrischen Lenkhilfeantrieb (ein elektrischer Servomotor) so zu konditionieren, dass er gezielt Geräusche und Vibrationen von sich gibt, von AVAS-Funktionen bis hin zu emotional eindringlichem Motorheulen. Das erspart dann auch zusätzliche Lautsprecher.  

Rudolf Skarics

Kommentar des Autors:

Nicht nur große Batterien machen Elektroautos mitunter sehr teuer. Die traditionell hohen Ansprüche an die fahrdynamische und passive Sicherheit treiben ebenfalls Gewicht und Preis in die Höhe. Von kleinen und kompakten Fahrzeugen wird aber erwartet, dass sie auch billiger sind. Die Tatsache, dass beim Elektroauto kein grammelnder Verbrennungsmotor störende Geräusche vom Fahrwerk und aus dem Innenraum fernhält, erfordert Maßnahmen zur Komfortsteigerung, wie sie bisher nur bei Premium-Fahrzeugen üblich waren. Zum Beispiel spezielle Fahrschemel zur Vibrations- Körperschall und Luftschalldämmung am Fahrwerk und dickes Dämmmaterial an vielen Stellen. Auch eine extrem steife Karosserie verbessert das akustische Verhalten des ganzen Fahrzeugs deutlich. Einfach mehr Gummi in den Fahrwerkslagern würde zwar auch den Komforteindruck verbessern, aber die Fahrdynamik beeinträchtigen. Auch die Crashsicherheit ist ein wesentlicher Kosten- und Gewichtsfaktor. Bisher wurden Verbesserungen isoliert auf das Auto bezogen betrachtet. Künftig wird man sie auf das ganze Verkehrssysstem beziehen müssen. Elektronische Systeme zur Unfallvorbeugung anstelle dickeren Blechs als archaische Überlebensstrategie für den Fall allzu häufiger Crashs. Außerdem muss nicht jedes Auto für höchstmögliche Kurvengeschwindigkeiten und 240 km/h auf der Autobahn ausgelegt sein. Es ist kaum vorstellbar, dass dies die Autohersteller alle ignorieren. Das heißt, es kommt bald auch eine neue Kategorie elektrischer Kleinwagen auf uns zu, die derzeit noch in deren Computern schlummern.

Künstliche Geräusche bei Elektroautos: Der Sound der E-Mobilität
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