Man kann ja über notwendige Reichweiten ausführlich und aus unterschiedlichen Blickwinkeln diskutieren, von der Vernunftebene bis zur Bequemlichkeit, vom Spaßfaktor bis zur Klimabilanz. Am Ende ist es doch immer sehr beruhigend, wenn man beim Autofahren von reichlich Kilometerreserve ausgehen kann. Sind die Batterien des e-Niro prall gefüllt, so zeigt er eine Reichweite von 428 km an, und das unter nicht gerade günstigen Voraussetzungen, nämlich winterlichen Temperaturen rund um den Gefrierpunkt. Das ist der springende Punkt. Es ist ja viel leichter, unter dem Druck der Vernunft seine Bedürfnisse nach untern zu skalieren als von vornherein schon einem Problem gegenüber zu stehen. Die Reichweite in dieser Größenordnung ermöglicht eine Durchquerung Österreichs seiner ganzen langen Länge nach mit nur einem Ladestopp. Da es mittlerweile an den Autobahnen schon mehrere Hochleistungs-Schnellladestationen mit 150 kW und darüber gibt und der e-Niro bis zu 100 kW aufnehmen kann, ist er tatsächlich nach einer Kaffeepause wieder zur Weiterfahrt bis ans Ziel bereit.

Auch als Sparvariante mit 100 kW und 40 kWh erhältlich
Darüber hinaus gibt es aber noch zwei Punkte, die den e-Niro hochattraktiv für viele E-Auto-Interessierte machen. Er ist einerseits ein äußerst praktisches universell einsetzbares Auto, das sich auch in jeder Hinsicht gut anfühlt. Andererseits bietet er in einer zweiten schwächeren Motorvariante (100 kW/136 PS) mit kleinerer Batterie (40 kWh) auch noch ein Einsparungspotenzial. Seinen Konzernbruder Hyundai Kona – auf gleicher technischer Basis aber im SUV-Schnittmuster – gibt es in Österreich ja ausschließlich in der starken Motorisierung mit großer Batterie und Top-Ausstattung.

Cross-All-Over-Elektroauto zum Wedeln
Man kann den Kia e-Niro getrost als Crossover-Vehikel bezeichnen. Er bietet im Wesentlichen das Platzangebot und das Lebensgefühl der Golf-Klasse, ist aber ein bisschen höher gestellt. Solcherart finden die Batterien am Wagenboden Platz, ohne das übrige Raumangebot zu beeinträchtigen. Die Räder sind auch hinten über eine Mehrlenkerachse aufgehängt, womit sich ein sehr sensibles Ansprechverhalten der gesamten Federung ergibt. Damit verdaut das Auto das erhebliche Batteriegewicht sehr gut. Natürlich auch deshalb, weil sich durch die tiefliegenden Batterien auch ein tiefer Schwerpunkt ergibt und es sich damit fein wedeln lässt. Der e-Niro zeigt sich trotz der großen Batterie viel agiler und wendiger als vor eineinhalb Jahren der Opel e-Ampera mit etwa gleich großen Batterien und ähnlicher Statur, der sich im Grenzbereich eher träg und kurvenunwillig verhielt. (Der e-Ampera ist der Neuorientierung von Opel im PSA-Konzern inzwischen ohnehin zum Opfer gefallen.)

Mit quietschenden Rädern
Die Leistungscharakteristik ist von der Motorisierung her natürlich beeindruckend, und zwar so sehr, dass Fahrwerk und Antriebsschlupfregelung viel zu tun haben, und letztlich auch hinter dem Lenkrad Obacht geboten ist. Volles Reinlatschen ins Fahrpedal sollte (naturgemäß) nur unter festem Griff am Lenkrad erfolgen. Man lernt die üppige Motorisierung trotzdem schnell als Sicherheitsreserve zu begreifen. Ganz sicher zu empfehlen sind aber gute Reifen, am besten fährt man mit einem Testsieger im Nassgriff. Hingegen stehen Reifen mit besonders hoher Laufleistung im Ruf, dass sie in Sachen Traktion eher Probleme hervorrufen, das gilt für Sommer- wie für Winterreifen.

Batteriepreise – sehr gut!
Als wichtiger Punkt ist auch der Themenkreis Motoleistung und Reichweite zu überlegen. Man braucht sich weder vor 136 PS noch vor 204 PS zu fürchten. Es handelt sich hier um Spitzenleistungen, die bei Bedarf abgerufen werden können. Die angegebenen höchsten Dauerleistungen liegen bei lediglich 37 bzw. 39 PS. Es handelt sich um zwei nahezu identische Motoren, die sich auch im Drehmoment nicht unterscheiden, das heißt, auch der schwächere müsste ein ähnlich agiles Fahrgefühl vermittelt. Der springende Punkt sind also eher die beiden Batteriegrößen, wobei anzumerken ist, dass der Aufpreis für die größere Batterie mit 4.400 Euro äußerst moderat erscheint. Das ergibt einen Preis von 176 Euro pro Kilowattstunde. Experten sprechen üblicherweise von 250 Euro pro Kilowattstunde als Industriepreis und jenseits 1000 Euro pro Kilowattstunde für den Endverbraucher, etwa im Yacht-, Camping- und Photovoltaik-Bereich. 176 Euro entspricht normalereise dem Niveau einer Bleibatterie, wohl wissend, dass sich so ein Preis nicht aus den Herstellungskosten sondern aus komplexen Überlegungen zur Marktsituation ergibt.

Abweichungen im Verbrauch
Auf unserer Testrunde haben wir einen Durchschnittsverbrauch von 19,2 Kilowattstunden auf 100 Kilometer erzielt, mit dichtem Stadtverkehr, flotter Überlandpartie und disziplinierter Autobahnetappe (110 km/h). Im direkten Vergleich benötigte der Jaguar I-Pace 27 kWh. Dass die Verbrauchsanzeige im e-Niro nur 16,4 kWh auswies, ist wohl zur einen Hälfte auf eine optimistische Grundkonfiguration der Elektronik durch den Hersteller zurückzuführen als auch auf Verluste beim Laden.

Lesen Sie auch unseren Reisebericht mit dem Jaguar I-Pace und den Vergleich Luxus gegen Alltag Jaguar I-Pace versus Kia e-Niro.null
Rudolf Skarics
Daten
Preis: ab € 37.490,- Long Range: ab € 41.890,-
Antrieb: Elektromotor 100 kW (136 PS)/290 Nm, Long Range 150 kW (204 PS)/395 Nm, Frontantrieb
Batterien: Lithium-Ionen 39,2 kWh, Long Range 64,0 kWh
Laden: Wechselstrom 230 V bis 6,6 kW*, Gleichstrom-Schnellladen bis 100 kW
Dimensionen: L/B/H: 4375/1805/1570 mm, Kofferraum: 451-1405 l
Fahrleistungen: 0-100 km/h 9,8 sec (Long Range 7,8 sec), Spitze 155 km/h (Long Range: 167 km/h), Normverbrauch (WLTP) 15,3 kWh/100 km (Long Range: 15,9 kWh/100 km), Normreichweite (NEFZ): 289 km (Long Range: 455 km).