Die Kurve der Veränderungen in der Autoindustrie wird immer steiler. Digitalisierung und Elektrifizierung haben enorme Auswirkungen nicht nur auf die Produkte und ihren Lebenslauf, sondern auch auf ihren Werdegang. Volkswagen hat diesen Effekt gleich zur Accelerate-Strategie erklärt. In Europa will man bis 2026 den Anteil an verkauften Elektroautos auf 70 Prozent steigern, in USA und China auf 50 Prozent. Dabei soll keine Mutter auf der gleichen Schraube bleiben. Überhaupt tritt das Mechanische in den Hintergrund. Das Wesen des Automobils verlagert sich rasend schnell in den digitalen Bereich. Dabei gilt es natürlich auch die Charaktereigenschaften der Modelle, die früher vorwiegend von der Mechanik herrührten, sozusagen in Software abzubilden. Man denke nur daran, dass die Zahl der programmierten Codezeilen von null beim VW Käfer im Lauf der Jahrzehnte auf bis zu 100 Millionen heute gestiegen ist. Potenzial weiter stark steigend.
Noch schnellere Entwicklung
Thomas Ulbrich, Vorstand für Technische Entwicklung bei Volkswagen: „Wenn das Auto immer mehr zum elektrisch angetriebenen Softwareprodukt wird, muss sich auch seine Entwicklung in allen Dimensionen wandelt.“ Das ermöglicht auch die Verkürzung des Entwicklungsprozesses um 25 Prozent, nämlich von 54 auf 40 Monate.
In den 1990er Jahren wurde vor allem bauteilorientiert entwickelt, mit Zunahme der Elektronik muss immer gleich das Ganze mitgedacht werden. Man orientiert sich hier am „System Engineering“, das im Flugzeugbau schon angewendet wird. Denn immerhin gilt automatisiertes Fahren auf Level 4 als die viel komplexere Aufgabe als Fliegen.
SSP statt MBE und PPE
Wie schnell der Wandel vor sich geht, zeigt die Tatsache, dass der Modulare Elektroantriebs Baukasten (MEB), der mit dem ID.3 begann, schon wieder ein Auslaufmodell ist. Ab 2026 wird der MBE gemeinsam mit der Plattform für die großen Modelle namens PPE zur SSP zusammengeführt (Scaleable Systems Platform). Sie soll erstmals im Trinity zum Einsatz kommen. „Over the Air Updates“ und „Functions on Demand“ sind ja heute schon verfügbar. Diese Funktionen werden weiter massiv ausgebaut. Mit Digital Lifecycle Management sollen die Autos dann lange Zeit aktuell gehalten werden. Die vielfältigen technischen Möglichkeiten, die aus der Digitalisierung erwachsen, werden natürlich in eine umfassende Verkaufs- und Vermiet-Strategie eingebettet.
Die Hersteller müssen immer auch eine Strategie entwickelt, die es auch der Kundschaft ermöglicht, die Autos zu kaufen oder zumindest zeitweise zu nutzen. Weil billiger wird das naturgemäß ja alles nicht. Damit dieser Wanle auch vonstaten gehen kann, wurde der Campus Sandkamp gebaut. Für 800 Millionen Euro Investition warten dort 4000 hochqualitative Arbeitsplätze, die besondere Fähigkeiten der Menschen Voraussetzung, was wiederum erhebliche Qualifizierungsmaßnahmen erfordert. Autonomes Fahren kündigt man „für viele Menschen“ ab 2030 an. Totale Klimaneutralität „bilanziell“ ist für 2050 angesagt.
Rudolf Skarics
Kommentar des Autors:
Mit diesen Veränderungen wird auch die Psyche des Menschen mitziehen müssen. Das wird nicht gar so schwer sein, weil wir die Geheimnisse dahinter, die ganze Datenkrake, ohnehin nicht sehen. Aber es wird viel verändern, und wir werden jetzt noch unvorstellbare, darunter gar nicht lustige Erfahrungen machen, wenn Dinge schiefgehen, sei es aus Überforderung der Technik oder Böswilligkeit von Hackern. Der Autobesitzt wird damit auch gründlich relativiert. Wir können das Auto zwar kaufen und werden in den Papieren als Eigentümer ausgewiesen. Im Hintergrund sitzt aber nicht nur der digitale Zwilling vom Auto, sondern auch unser Doppelänger, jenes digitale Bild von uns, das die Datensammler algorithmisch basteln. Update over the Air zum Beispiel. Wie beim Handy: Wir werden zwar eine Einwilligung geben, die allermeisten werden aber nicht im Detail verstehen, was sie akzeptieren. Die heile Welt, die ein gnadenloser Wettkampf um die Skalierung der Absätze an die Wand wirft, wird noch heftige Kratzer kriegen. Auch wenn uns das Auto dies immer noch vorgaukelt, es fährt nicht mehr unabhängig. Ständig ist es am digitalen Gängelband von Servern und anderen Fahrzeugen.