Es ist nicht ganz verwunderlich, dass ausgerechnet ein ziemlich kleiner und damit sehr flexibler Premiumhersteller als erster zeigt, wo es langgeht mit dem Elektroauto, und zwar nicht unbedingt mit einem völlig neuen Ansatz zum Thema Mobilität, sondern akkurat mit einem Elektroauto, das unsere gewohnten Erwartungshaltungen aus der Verbrennerwelt noch einmal toppt.
Was wir schon beim ersten Kontakt mit dem I-Pace anlässlich des Serienanlaufs im Magna-Steyr-Werk Graz nach einem kurzen Fahrerlebnis erkennen konnten, hat sich jetzt weiter verdichtet. Der I-Pace bringt das Fahrgefühl eines Supersportwagens in der Statur eines coupéhaften tiefergelegten SUVs. Freilich bietet die üppigste aller Fahrzeugklassen auch sehr gute Voraussetzungen für einen elektrischen Antrieb: Eine dicke Bodenplatte zur Integration der großen und schweren Batterien, Cab-foreward-Design für gute Rauausnutzung und eine Coupé-Silhouette für geringen Luftwiderstand und muskulöses Auftreten.
Beschleunigen und Bremsen spiegelbildlich
Die Faszination der Bewegung ist schnell erklärt: Beschleunigen und Verzögern werden durch die Elektromotoren mit One-Pedal-Rekuperationsmodus zu einem spiegelgleichen Vorgang, Gasgeben und Bremsen verschmelzen ineinander, Übrig bleit nur mehr eine erhebendes Gefühl der Dynamik, das mit entsprechender Intensität zelebriert, noch erheblich früher die Magennerven der Mitfahrenden stresst als bei jedem anderen Sportwagen. Dabei ist sogar hinten noch Platz für zwei große Erwachsene.
Abenteuer auf der Rennstrecke und im Gelände
Auf dass wir sehen sollten, dass der Elektroantrieb seine Performance auch jenseits des banalen Alltags nicht gleich einbüßt, schickte man uns auch auf die Rennstrecke und ins Gelände. Man gewinnt da schon den Eindruck, dass in einem Jaguar immer auch ein bisschen Land Rover stecken muss und umgekehrt. Rennstrecke also: Die beiden Motoren ziehen und schieben den Wagen gleichzeitig über den beängstigend schnellen Kurs des Autodromo International do Algarve mit mehreren blinden Kuppen. Die beiden Achsantriebe sind nicht miteinander verbunden, sondern mit hoher Intelligenz verdrahtet, könnte man sagen. Dementsprechend beeindruckend erfolgt die Kraftverteilung zwischen vorne und hinten. Da ist ein kleiner Walter Röhrl samt Linksbremsen schon hineinprogrammiert. Wenn einem Profi vielleicht sogar die Schaltzeremonien abgehen mögen: Die Elektromotoren geben dir volle Rückendeckung, den Wagen alleine über Fahrpedal, Bremse und Lenkung zu dirigieren.
Und dann, wenn du in der Zielkurve Vollstrom gibst und über die Zielgerade donnerst, spürst du etwas, was bisher von Motorenlärm und Motorenvibrationen immer verdeckt wurde: Du erlebst wie das ganze Auto in Schwingung gerät, über die sich eine Oberschwingung legt, die dich in sehr maschinenbaulicher Art umhüllt. Und dann bis du sicher, dass du noch immer nicht fliegst, sondern Antriebswellen hast und mächtige 22-Zoll-Walzen, auf denen die ganze Post abgeht, und eine Aerodynamik die sich redlich bemüht, den Wagen am Boden zu halten.
Wasser bis zum Türrahmen – ohne Stromschlag
Es ist normalerweise typisch für Land-Rover-Präsentationen, dass man senkrecht anmutende Wände hochzufahren und Furten zu durchqueren hat, aber wenn dir bei einem Elektroauto plötzlich das Wasser bis zum Türrahmen steht, denkst du schon kurz an die 400 Volt im Energiespeicher und wie der Stromschlag sich wohl anfühlen würde, falls da doch etwas nicht ganz passt. Doch es kam anders: Wattiefe 111 Millimeter. Wir hatten nicht einmal Stromausfall.
Klar ist natürlich, dass vieles von dem, was wir probiert haben, im Alltag eh keine Rolle spielt, und dass nicht alles für alle Modelle zutrifft. Etwa beim Basismodell ohne Luftfederung und damit ohne Möglichkeit Fahrwerkserhöhung und –absenkung. Betrifft natürlich auch die beeindruckende Abwesenheit von Fahrzeug-Querneigung durch die Luftfederung.
Voller Schub, volle Rekuperation
Das erhebende Gefühl der spiegelgleichen Vorgänge von Beschleunigen und Verzögern begründet sich unter anderem wohl in der Synchronizität der beiden identischen Motoren an Vorder- und Hinterachse. Zweimal 147 kW Leistung. Durch die dynamische Gewichtsverlagerung ist der vordere Motor in der Lage, die volle Leistung beim Rekuperieren umzusetzen, während der hintere die volle Leistung beim Beschleunigen abruft. Würde die hintere Maschine beim Verzögern zu stark rekuperieren, bräche das Heck nämlich sogar auf der Geraden aus. (Wie sehr man doch dieser Technik schon ausgeliefert ist, nicht nur beim Durchqueren einer tiefen Wasserlacke.)
Viel Speed kostet noch mehr Strom
Wir sehen schon, die elektrotypischen Eigenschaften sind bei diesem Auto bereits in den Hintergrund getreten. Wir lesen aufmerksam vom Bodcomputer ab, dass eine Batterieladung auf der Rennstrecke gerade mal für 160 Kilometer reichen würde, halten das aber für eher unwesentlich. Wir sehen sodann, dass wir im Alltags-Verkehrsgewusel Energie in der Größenordnung zwischen 20 und 25 Kilowattstunden auf 100 km konsumiert haben und sehen, dass dies nicht weit weg von der WLTP-Angabe von 21,20 kWh /100 km liegt. Das heißt, die realistische Reichweite entspricht einem benzinbetriebenen Sportwagen von früher, natürlich abhängig von Umgebungsbedingungen und Fahrweise.
Fahren besser als Bedienen
Die Gestaltung des Innenraums ist Jaguar-gemäß hochwertig und hochansehnlich, mit dem vollelektronischen Touch-Pro-Duo-Anzeige-Bediensystem gerät man noch manchmal in Clinch. Da ist man bei Jaguar Land Rover insgesamt noch nicht am Ziel.
Schwachpunkt Ladtechnik
Die Ladetechnik erlaubt Schnellladen bis 100 kW, das ist immerhin das Doppelte von dem, was das bisher verbreitete Schnellladenetz hergibt. Kein grundsätzliches Hindernis also, sich unter mitteleuropäischen Verkehrsverhältnissen frei zu bewegen, zumal man ohnehin auch Nahrungszufuhr und andere menschliche Bedürfnisse zu erledigen hat. Grenzwertig ist allerdings die Möglichkeit zum Laden daheim. Die Ladetechnik ist für das amerikanische und asiatische Haushaltsnetz optimiert, und damit einphasig mit 32 Ampere Stromstärke.
Das heißt bei uns: nicht 7 Kilowatt wie angegeben, sondern maximal 3,7 kW. Das ergibt nach Adam Riese satte 24 Stunden für eine Batteriefüllung oder eine Standzeit über Nacht mit Duschen und Frühstücken für 200 Kilometer Reichweite. Geht auch, aber 11 oder 22 kW Drehstrom würde schon besser zu einem Premium-Doppel-Sports-Utility-Vehicle passen. Natürlich ist zu erwarten, dass es dreiphasiges Drehstromladen auch beim I-Pace bald geben wird.
Rudolf Skarics
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